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Standpunkt

Wohnen ist doch ein Menschenrecht, oder?

Das Zusammenwirken verschiedener Veränderungen auf den Wohnungsmärkten führt zu einer volatilen Situation und erschwert die politische Steuerung. Umso wichtiger ist es, die Ziele und Instrumente klar zu definieren.

Unstrittig ist zumindest, dass eine Wohnung eine der zentralen Grundvoraussetzungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist – sie bietet das sprichwörtliche „Dach über dem Kopf“ und ist Ankerpunkt der privaten Lebensorganisation. Für die Bewertung der Wohnungsversorgung geht es aber nicht nur um das schlichte Vorhandensein einer Wohnung. Vielmehr wird die Lebensqualität durch die Wohnverhältnisse geprägt – auch verstanden als Passfähigkeit der Wohnung zur Lebenssituation – sowie die Nachbarschaft. Drastisch illustriert wurde der Zusammenhang von Heinrich Zille: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber man kann ihn auch mit einer Wohnung erschlagen“. Die heutigen Wohnverhältnisse haben nur in sehr seltenen Fällen das Erscheinungsbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Wohnungspolitik ist aber ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema geblieben und es geht nach wie vor um Wohnungsmangel, hohe Mieten sowie steigende Immobilienpreise.
 

Was braucht es für die wohnungspolitische Neuausrichtung?

Ein Ausdruck dessen ist das im Koalitionsvertrag von 2022 verankerte Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen neu zu bauen. Das Ziel war schon zur Zeit des Beschlusses ambitioniert, hatte doch die COVID-19-Pandemie bereits zu Lieferengpässen bei Baumaterialien und Kostensteigerungen im Baugewerbe geführt. Die Situation verschärfte sich weiter durch das Ende der Niedrigzinsphase und den russischen Überfall auf die Ukraine. Seitdem vergeht keine Woche, in der nicht in irgendeinem Zusammenhang auf den wachsenden Abstand zwischen den Baufertigstellungen und den Zielzahlen hingewiesen und die aktuelle Wohnungspolitik für gescheitert erklärt wird. Parallel wächst die Liste der Vorschläge bzw. Forderungen zu einer wohnungspolitischen Neuausrichtung. Diese können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden, wichtig erscheint mir aber die Unterscheidung zwischen kurz- und langfristigen Weichenstellungen. Kurzfristige Maßnahmen zur Abfederung der Kostensteigerungen finden sich u.a. in Wohnraumförderprogrammen und Grundstücksausschreibungen von Kommunen. Diese sind jedoch in hohem Maße von der jeweiligen Haushaltslage abhängig. Auf eine längere Perspektive zielen dagegen die Forderungen nach der Absenkung von Baustandards (z.B. Energieeffizienz, Barrierefreiheit und Regelungen der Landesbauordnungen) sowie der Quoten für bezahlbaren Wohnraum oder die Absenkung/Vereinheitlichung der Grunderwerbssteuer. Viele der Vorschläge sind keineswegs neu, doch steigt der Nachdruck mit dem sie vorgetragen werden, da angesichts der ermittelten Miethöhen für den frei finanzierten Wohnungsbau von 17,50 bis 20 Euro je Quadratmeter (nettokalt) der Neubau endgültig für viele Haushalte unbezahlbar zu werden droht.

Wohnungsneubau vs. Bestandsmiete

Die derzeitige Situation auf den Wohnungsmärkten sollte nicht als lineare Konsequenz der Entwicklungen gelesen werden. Die Kumulation von Schockereignissen stellt vielmehr eine Ausnahmesituation dar, die auch als solche behandelt werden sollte. „Wir erleben einen zyklischen Reset-Moment ähnlich wie Ende der 1990er-Jahre oder nach der Finanzkrise“ (Leykam, 2023). Die anhaltende Niedrigzinsphase führte dazu, dass Immobilien (Betongold) als Anlageform eine nie dagewesene Attraktivität erhielten. Das Dauerhoch forcierte die Etablierung von Immobilienunternehmen, die nur unter diesen Sonderbedingungen funktionierten und heute als Gesichter der Krise gelten. Heute erweisen sich Kaufpreise von Grundstücken und Immobilien als zu hoch und belasten die Buchwerte der Unternehmen. Insgesamt wurde die Niedrigzinsphase zu wenig genutzt, um Innovation im Immobiliensektor zu fördern, stattdessen wurde an vielen Stellen Geld aus den Wohnungsbeständen gezogen.

Dem Neubau einen besonders hohen Stellenwert in den wohnungspolitischen Instrumenten einzuräumen, beruht auf der Diagnose, dass ein Großteil der Mietpreissteigerungen eine Folge der Knappheit ist, was man als Vermietermarkt bezeichnet. In den 2000er-Jahren herrschte in vielen Städten dagegen ein Mietermarkt, was bedeutet, dass die Vermieter*innen nicht jeden Mietpreis durchsetzen können. Einen Wohnungsüberhang zu bauen und damit den Markt zu entspannen, erscheint unter den skizzierten Rahmenbedingungen kein realistisches Szenario zu sein. Ich möchte aber auf ein anderes Phänomen hinweisen: Wenn hohe Gestehungskosten im Wohnungsbau beklagt werden, dann wird eine Art Kostenmiete kalkuliert, während in der Mietpreisbildung sonst auf die Marktmiete gesetzt wird. Diese spiegelt nicht unbedingt die Kosten wieder, sondern leitet den Mietpreis aus der Zahlungsbereitschaft der Wohnungssuchenden ab.

Die 2015 beschlossene Mietpreisbremse zielt darauf ab, diese Möglichkeiten zu begrenzen, dennoch haben sich die Angebotsmieten immer weiter von den Bestandsmieten – für die das Mietrecht weitergehende Schutzmechanismen vorsieht – entkoppelt. Infolge dessen sinkt die Binnenwanderungsquote. In Berlin betrug diese im Jahr 2004 noch 11,4 Prozent, 2020 dagegen nur noch 6,9 Prozent, es unterblieben damit 122.000 Umzüge (Investitionsbank Berlin, 2022). Da die Anpassung der Wohnverhältnisse mit erheblich höheren Wohnkosten verbunden ist, verbleiben Mieter*innen in ihrer jetzigen Wohnung, obwohl diese möglicherweise nicht mehr ihren Bedürfnissen entspricht, weil sie zu groß oder zu klein ist, nicht in der Nähe des Arbeitsplatzes liegt etc. Die Konsequenz dieses Log-In-Effekts ist, dass sich insbesondere in den prosperierenden Agglomerationsräumen im zurückliegenden Jahrzehnt die Zugänglichkeit der Wohnungsmärkte verschlechterte.

Der Wohnungsmarkt: Herausforderungen & Lösungen 

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken wurden in vielen Städten Initiativen zum Wohnungstausch lanciert, die jedoch bislang kaum signifikante Effekte entfalten. Andere Vorschläge (Ochs, 2023; Sebastian, 2021) zielen dagegen auf eine Anhebung des Niveaus der Bestandsmieten in Richtung der Angebotsmieten durch eine Reduzierung der Regulierung. Damit würde der Anreiz sinken, in einer zu großen Wohnung zu verbleiben und die „blockierte“ Wohnfläche dem Wohnungsmarkt zugeführt. Hintergrund ist die im Durchschnitt steigende Wohnfläche pro Kopf, die jedoch bei Mieter*innen und in Großstädten wesentlich geringer ausfällt als bei Eigentümer*innen sowie im ländlich geprägten Raum. Der zweite Teil der Argumentation basiert darauf, dass die Bestandsmieten auf einem „künstlich“ niedrigen Niveau gehalten werden und damit Wohnungseigentümer* innen quasi besteuert würden. Als Referenzwert dient wiederum die Marktmiete, die nicht ausschließlich aus den tatsächlichen Kosten, sondern auch der Wohnungsknappheit sowie gesamtgesellschaftlichen Investitionen in Quartiere und Infrastruktur resultiert.

Für Bestandsmieter*innen gibt es neben privaten Gründen – Familienvergrößerung oder-verkleinerung, Scheidung etc. – auch externe Faktoren, die einen Wohnungswechsel unausweichlich machen, etwa die Anmeldung von Eigenbedarf, eine nicht tragbare Mieterhöhung oder wenn das Haus einem Ersatzneubau weichen muss (Thielmann & Schloz, 2023). Die Trennlinie zwischen Wohnungs-Nutzenden und Wohnungs-Suchenden ist damit keineswegs undurchlässig und die Verunsicherung wirkt tief in die Stadtgesellschaften hinein: „In einer frei drehenden Stadt wie München sind Genossenschaften einer der wenigen Notausgänge, um dem erbarmungslosen Markt zu entkommen“ (Krass et al., 2023).

Wohnen ist ein Menschenrecht

Zu dem Denkmuster, das hohe Mieten für alle als Instrument eines „gerechteren“, entspannteren Wohnungsmarkts interpretiert, gehören auch die Unterstützungsleistungen für die „wirklich“ Bedürftigen, die zielgenau durch Wohnbeihilfen unterstützt werden. Doch letztlich können steigende Anteile der Mieten an den Haushaltseinkommen sowie die öffentlichen Transferleistungen auch als „Kaufkraftvernichtung“ interpretiert werden. Das Geld steht für andere Ausgaben oder Zwecke nicht zur Verfügung. Das Menschenrecht auf Wohnen braucht mehr als Noteingänge und es ist höchste Zeit, einen alternativen Verteilungsmechanismus als lediglich den Preis zu entwickeln.

 

Vorabveröffentlichung des im Difu-Magazin Berichte 4/2023 erscheinenden Textes.